Ursprung und frühe Entwicklung
  Seit 1945: Repression und Wiedergeburt
  Der elsässische Dialekt: museumsreif?
  Zukunftsaussichten





Ursprung und fruhe Entwicklng


Die deutsche Sprache kommt im 4. Jahrhundert ins Elsaß, als der Zusammenbruch des Römischen Reichs dem Stamm der Alemannen die Möglichkeit gibt, sich jenseits des Rheins niederzulassen und die römische und keltische Bevölkerung sprachlich und kulturell beeinflussen. Ein Jahrhundert später siedelt sich auch der Stamm der Franken im Elsaß und jenseits der Vogesen an.Serment de StrasbourgEine Sprachgrenze bildet sich anschließend rasch entlang der Vogesen und trennt die Region vom Gebiet des späteren Frankreich, wo sich eine eigene romanische Sprache entwickelt, ab. Der Straßburger Eid von 842 (im Bild) ist ein Symbol für die neuen Verhältnisse: Dieser Friedensvertrag zwischen Karl dem Kahlen und Ludwig dem Deutschen wurde in beiden Sprachen abgefaßt. Das Elsaß gehört nun für mehr als tausend Jahre zum deutschen Sprachraum.

Im 17. Jahrhundert wird das Elsaß durch den Westfälischen Frieden, der den Dreißigjährigen Krieg beendet, ein Teil Frankreichs. König Ludwig XIV. ist jedoch nicht sonderlich an einer sprachlichen und kulturellen Assimilation des neuen Gebiets interessiert; das Elsässische bleibt dadurch zunächst als einzige Sprache des Landes erhalten. Die Verhältnisse ändern sich durch die Französische Revolution, in dem von der Idee der Nation und des Patriotismus geprägten 18. Jahrhundert: Die einheitliche französische Sprache ist in den Augen der Franzosen die Vorraussetzung, um eine politische Einheit zu schaffen. Darüber hinaus wird die deutsche Sprache nun als die Sprache des »Erbfeindes« gesehen. Die folgenden Jahrzehnte werden zu einer Periode der sprachlichen Intoleranz im Elsaß. Die französische Sprache dringt immer weiter in der Bevölkerung vor; immer mehr Menschen sprechen jetzt französisch, und als nach dem Krieg von 1870/71 das Elsaß und ein Teil Lothringens in das deutsche Reich integriert wird, ist die französische Lebensart schon ein fester Bestandteil der kulturellen Identität des Elsaß. Die französische Sprache ist vor allem in Städten und in der Bourgeoisie geläufig; der größte Teil der Bevölkerung auf dem Land und in den unteren Schichten spricht freilich weiter die elsässische Mundart.

Deutsch wird nun im Elsaß, wie im übrigen deutschen Reich, die offizielle Sprache. Eine Ausnahme bilden nur einige französisch-sprachige Dörfer in den Tälern der Vogesen und in Lothringen. Die deutsche Verwaltungspolitik legt großen Wert darauf, die Bevölkerung zu beruhigen, indem sie die Eigenschaften des Landes respektiert. Ganz allmählich setzt sich auch eine gewisse politische Autonomie durch. Den Höhepunkt dieser Entwicklung bildet die Einführung einer eigenen Verfassung für das Elsaß im Jahre 1911. Das Verhalten der neuen Herrscher bringt die Elsässer dazu, sich im großen und ganzen mit der neuen Situation abzufinden. Wirtschaft und Kultur erleben eine Blütezeit. Der Erste Weltkrieg war für das Elsaß eine Zeit des Chaos. Nach der deutschen Niederlage ist man im Elsaß sehr erleichtert, daß diese schreckliche Zeit des Krieges ein Ende hat, und bereitet den neuen - französischen - Herrschern Elsaß-Lothringens einen enthusiastischen Empfang. Die Erwartungen der Elsässer, die auf kulturelle und sprachliche Autonomie hoffen, werden aber nicht erfüllt. Die neue Verwaltung betreibt eine extreme sprachliche und kulturelle Assimilationspolitik, ohne jede Rücksicht auf elsässische Eigenheiten. Französisch wird als offizielle und einzig erlaubte Sprache einer zu 90% deutschsprachigen Bevölkerung aufgezwungen. Ein Gefühl der Frustration führt ab 1924 zum Erstarken einer Autonomiebewegung, die, vergeblich, in einem Kampf David gegen Goliath für mehr Selbstverwaltung eintritt. Während des Zweiten Weltkrieges, nach der französischen Niederlage, wird das Elsaß für vier Jahre Teil des »Dritten Reiches«. Diese Zeit zwischen 1940 und 1944 ist für das Ansehen Deutschlands und seiner Sprache katastrophal, da die politische und kulturelle Gewaltausübung der Nazis die Bevölkerung tief erschüttert. Hier liegen die Wurzeln des folgenden elsässischen Mißtrauens gegen »das Deutsche«.


Seit 1945: Repression und Wiedergeburt


Nur wenige Menschen wagen es, nach der »Liberation« die nun wieder alte französische Sprachpolitik offen in Frage zu stellen. Von seiten der französischen Regierung werden dieselben Fehler wie ehedem gemacht: Deutsch wird als »Sprache des Feindes« von den Schulen verbannt. Die sprachliche Assimilation nimmt allerdings bald eine viel subtilere Form an: Der Bevölkerung wird eingeredet, daß es einfach ›chic‹ ist, französisch zu sprechen; Elsässisch wird als ›bäuerlich‹ hingestellt, und es wird suggeriert, daß dieser Dialekt ohnehin keine Zukunft hat. Erst 1968 wird man sich im Elsaß bewußt, daß man Gefahr läuft, mit der eigenen Sprache auch die kulturelle und regionale Identität zu verlieren; es bilden sich die ersten Vereinigungen, die den Kampf um die Rettung der elsässischen Mundart aufnehmen, etwa der ›Kreis René Schickele‹, der heute noch sehr aktiv ist. Gleichzeitig beginnen viele der elsässischen Künstler, auf Elsässer-Deutsch zu schreiben und zu singen; genannt seien nur Roger Siffer, André Weckmann und Roland Egles. 1972 wird schließlich auch wieder Deutsch als Fremdsprache an den Schulen eingeführt. Nun wird der Druck aus der Bevölkerung immer größer, und so wird aus Rücksicht auf dialektsprechende Schüler die Holderith-Methode zum Erlernen der deutschen Sprache eingeführt. Die politischen Parteien nehmen entsprechende Forderungen in ihre Wahlprogramme auf. Schließlich werden Ende der 80er Jahren die ersten zweisprachigen Privatschulen durch ›ABCM Zweisprachigkeit‹ gegründet. Viele Elsässer sind sich offenbar der Gefahr bewußt und kämpfen. Ist es aber nicht zu spät?


Der elsässiche Dialekt: museumsreif?


Wenn man die Entwicklung betrachtet, wird deutlich, daß zwischen 1878 und 1962 der Anteil an der Bevölkerung des Elsaß, die das Elsässer-Deutsch beherrschen, kaum abnahm (von 88,2 auf 84,7%). Ab 1962 kommt es aber zu dramatischen Veränderungen. In einer Studie, in der vor zehn Jahren 2.216 Schüler im Elsaß befragt wurden, beschreiben die Forscher Marie-Noële Denis und Calvin Veltman die Lage folgendermaßen: 63% der Eltern der Schüler beherrschen den Dialekt, aber nur 34,4% der befragten Schülern können Elsässisch sprechen, und 52,8% verstehen die Sprache. Die, die den Dialekt noch sprechen, sprechen Elsässisch mit ihren Eltern, Großeltern und ihren Angehörigen. Weniger als 10% bedienen sich des Dialekts unter Freunden. Diese Werte hängen stark vom Familientyp ab (elsässische, französische oder gemischte Familie). Außerdem zeigt diese Studie, daß der Dialekt besser in den Dörfern als in den Städten überlebt, und im Norden des Landes (Wissembourg, Zabern, Soultz) besser als im Süden. Die Prognosen sind freilich besorgniserregend: Lediglich 21% der Generation, der die befragten Schüler angehören, wird im Stande sein, den Dialekt weiterzugeben. Ist alles verloren? Wenn nicht, dann ist es höchste Zeit zu handeln.


Zukunftsaussichten


D er elsässische Dialekt stirbt ab? Na und? Was ist daran so schlimm?
Das Erbe einer Grenzregion, das Schicksal, Spielball zwischen zwei großen Nationen zu sein, hat zwei wesentliche Nachteile. Zum einen ist der Gebrauch der Mundart auf eine verhältnismäßig kleine geografische Stelle begrenzt, eben auf das Elsaß und einen Teil Lothringens. Zweitens gibt es keine phonetische und orthographische Einheit. Besonders die Aussprache variiert in den verschiedenen Gebieten des Elsaß stark. Der Versuch einer grammatischen Kodifizierung birgt natürlich auch Probleme in sich, auch wenn manche Versuche durchaus vielversprechend sind (siehe
'Unterricht').
Den entsprechenden Willen zur Erhaltung der eigenen kulturellen Identität vorausgesetzt, könnte man diese Problemen jedoch durchaus in den Griff bekommen. Aber die wichtigste Frage bleibt noch unbeantwortet : Warum? Warum sollten wir um das Uberleben dieses kulturellen Altertums ringen?
Unserer Meinung nach gibt es viele Gründe. Wie soll die Geschichte, wie sollen die Besonderheiten einer derart eigenständigen Kultur verstanden werden ohne die Kenntnis ihres wichtigsten Ausdrucksmittels, ohne ihre Sprache? Die Archive, die Schriften eines Sebastian Brandt oder eines René Schickele, der komplexe Charakter der Elsässer - alles ist mit der Sprache verbunden. Die elsässische Mundart ist ein Mittel, um unsere Vergangenheit zu verstehen, um die Gegenwart zu beleuchten und uns unsere Zukunft ahnen zu lassen.

Im Rahmen der europäischen Integration ist es wesentlicher denn je, die Vielfalt der Regionen Europas zu bewahren, nicht um sich ängstlich in sich selbst zu verschließen, sondern um eine gegenseitige kulturelle Befruchtung zu erreichen, gegen die Gleichschaltung. Das Aussterben des Dialekts im Elsaß wäre weitaus schlimmer als beispielsweise das - ja durchaus unwahrscheinliche - Aussterben des badischen Dialekts zugunsten des Hochdeutschen. Ein Aussterben des Elsäßischen würde die endgültige Französisierung des Elsaß bedeuten. Man sollte nie vergessen, daß das Elsaß noch der einzige Ort in der Welt ist, an dem die deutsche und die französische Kultur sich vermischten und bereicherten.


 



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